Wie bei jeder Art von Spiel bergen vor allem Spielregeln ein großes Potential für Diskussionen und Konflikte, weswegen die Frage „Wie viele Regeln braucht ein Liverollenspiel?“ schon oft im Zentrum der spielphilosophischen Auseinandersetzung gestanden ist.
Bevor es darum gehen soll, grobe Standpunkte zu diesem Thema zu erklären, soll ein Punkt vorausgeschickt werden:
Kein Spiel kommt ohne Regeln aus.
Selbst das freieste Spiel wird immer auf einem Regelwerk basieren, das es den SpielerInnen ermöglicht unter einem gemeinsamen Nenner spielen zu können.
Liverollenspiel basiert auf den Grundregeln, dass alle TeilnehmerInnen eines Spieles gewillt sind über einen bestimmten Zeitrahmen hinweg, innerhalb eines bestimmten Gebietes, eine Rolle einnehmen in der sie mit anderen TeilnehmerInnen agieren. Doch natürlich ist es oft notwendig dieses Rollenspiel stärker zu reglementieren, um eine Spielatmosphäre und Umgebung herzustellen, die den Ansprüchen an das Wohlbefinden der TeilnehmerInnen oder der VeranstalterInnen, dem Spielinhalt, der Umgebung, oder etlichen anderen Faktoren, gerecht wird. Das Ausmaß dieses Regelwerks kann dementsprechend stark variieren, je nach Anforderungen und Geschmack der VeranstalterInnen.
In der Auseinandersetzung rund um diesen Punkt haben sich zwei sehr grobe Spielphilosophien gebildet, die die beiden Enden dieses Spektrums repräsentieren:
Das minimalistische Ende des Spektrums versucht den SpielerInnen möglichst wenige Regeln vorzuschreiben, die sie zu beachten haben. Der Vorteil daran liegt in der geringen Komplexität, die kreatives und spontanes Handeln in den Vordergrund stellt. Diese Freiheit kann aber auch überfordernd wirken und verlangt außerdem ein hohes Maß an Vertrauen und Akzeptanz unter der SpielerInnenschaft, denn auch beim gemeinsamen Spielen, kann es leicht passieren, dass sich SpielerInnen übergangen und durch die spontanen Handlungen anderer in ihrem Spielerlebnis gestört fühlen.
Dieses Ende des Spektrums wird oft mit dem Akronym DKWDDK (Du kannst, was du darstellen kannst) oder DKWDK (Du kannst, was du kannst) beschrieben.
Auf der anderen Seite des Spektrums stehen die verschriftlichten REGELWERKE, die der SpielerInnenschaft sehr genaue Angaben über die Möglichkeiten und Einschränken ihrer Rolle geben und auch die Darstellung bestimmter Rollenfähigkeiten festlegt. Meistens sind diese Regelwerke an ein Punktesystem geknüpft, das neben einer klaren mathematischen Vergleichbarkeit, auch eine Steigerung der Rollenfähigkeiten im Laufe mehrerer Spiele unter dem gleichen Regelwerk, ermöglicht.
Diese Regelwerke haben den Vorteil, dass Missverständnisse vorgebeugt werden und ermöglichen es außerdem sehr komplexe und schwer darstellbare Rollenfähigkeiten in Spiele einfließen zu lassen. Die VeranstalterInnen können durch ein Regelwerk zudem größeren Einfluss auf die möglichen Aktionen der SpielerInnenschaft nehmen, was den Spielablauf berechenbarer und einfach zu steuern macht.
Der Nachteil der starken Reglementierung liegt einerseits in dem Konfliktfeld, das sich durch die verschiedenen Interpretationen der Regeln und die dadurch entstehende Regeldiskussionen ergibt, die vom eigentlichen Spiel ablenken können. Zudem können die Reglementierungen zum Einen als einschränkend für die eigene Rollengestaltung empfunden werden und zum anderen dazu führen, dass nur langjährige SpielerInnen einer Rolle Zugriff auf bestimmte Rollenfähigkeiten haben und EinsteigerInnen somit auf weniger spielbare Inhalte zugreifen können und dürfen.
Es sei hier auch noch erwähnt, dass viele Spiele sich weder im einen noch im anderen Extrem einordnen lassen und die Bandbreite eine große ist. Welche Spiele als SpielerIn bevorzugt werden, ist eine reine Frage des persönlichen Geschmacks und eine Wahl muss auch nicht zwingend getroffen werden, denn es gibt viele Menschen, die sich mit etlichen Spielphilosophien wohl fühlen und somit auf vielen verschiedenen Spielen Spaß haben können.
Text: Alexander Neubauer